Gefangenenzeitungen
- Baden Württemberg (16/4)
- Bayern (35/4)
- Berlin (7/2)
- Brandenburg (5/2)
- Bremen (1/1)
- Hamburg (5/1)
- Hessen (16/2)
- Mecklenburg-Vorpommern (4/2)
- Niedersachsen (13/5)
- Nordrhein-Westfalen (33/15)
- Rheinland-Pfalz (9/1)
- Saarland (2/1)
- Sachsen (10/0)
- Sachsen-Anhalt (4/0)
- Schleswig-Holstein (6/0)
- Thüringen (5/1)
Diese Übersicht deutscher Gefangenenzeitungen orientiert sich an dem Verzeichnis deutscher Justizvollzugsanstalten auf der Website Justizvollzugsanstalt.org
Dort finden Sie aktuell 171 Justizvollzugsanstalten in Deutschland, alphabetisch geordnet nach Bundesländern.
In der Übersicht rechts sind jeweils die Anzahl der Haftanstalten sowie die Anzahl der aktuell bekannten Gefangenenzeitungen aufgeführt.
Stand: 24.08.2023.
Am Beispiel Baden Württemberg:
16 Justizvollzugsanstalten, 4 bekannte Gefangenenzeitungen.
Wir bitten an dieser Stelle alle Justizvollzugsanstalten uns mitzuteilen, ob und welche Gefangenenzeitschriften in ihrer Anstalt herausgegeben werden.
Für ihre
Mitteilung danken wir ihnen ganz herzlich!
Geschichte
Im Vergleich zu den USA hat die deutsche Gefangenenpresse eine relativ kurze Geschichte. Dort wurden Zeitungen wie "Summary" aus New York oder "The Prison Mirror" aus Minnesota schon in den 80er Jahren des 19.Jahrhunderts gegründet. Der deutsche Strafvollzug hinkte hinterher. Hier war es zu der Zeit undenkbar, daß sich Gefangene kritisch mit ihrer Situation auseinandersetzen würden. Sie verbrachten ihre Strafe zum großen Teil in strenger Einzelhaft und jahrelanger Isolation.
Reformkräfte kamen erst in der Weimarer Republik zum Zuge. In Thüringen beispielsweise übernahm Albert Krebs, ein junger Sozialarbeiter, eine große Haftanstalt in Untermaßfeld. Für die 230 gefangenen Männer gab es Werkstätten, eine Kantine, einen Friseur, eine große Bücherei - und seit 1928 "Die Brücke", eine Zeitung, deren Redaktion paritätisch mit Gefangenen und Bediensteten besetzt war. Diese Zeitung kann als erste und damals einzige deutsche Gefangenenzeitung bezeichnet werden.
Ziel war es, eine Verbindung von "drinnen" nach "draußen" herzustellen. Die Zeitung war für Menschen gedacht, die "es wirklich ehrlich mit den Insassen meinen, Freunde, welche die Überzeugung ihr eigen nennen, es sind nicht alles schlechte Menschen, welche hinter den Mauern sitzen" - so heißt es in der ersten Ausgabe.
In der Zeitung wurde vor allem über den Alltag in der Anstalt berichtet. Über die Schule, den Chor, das Weihnachtsfest; Gefangene setzten sich mit dem Strafvollzug auseinander, Entlassene berichteten über ihre Probleme, in der Freiheit wieder neu anzufangen.
Nachdem 1932 die Nationalsozialisten in Thüringen an die Macht kamen, wurden sämtliche Reformansätze jäh abgebrochen. Die Bücher der gut ausgestatteten Bücherei wurden von ihnen auf dem Hof verbrannt, Lehrer und Sozialpädagogen entlassen. Albert Krebs konnte flüchten.
Der Faschismus hinterließ einen Strafvollzug, der ausschließlich vom Vergeltungsgedanken geprägt war. Dementsprechend waren Selbstäußerungen Inhaftierter, die sich kritisch mit dem Strafvollzug befaßten, nicht gefragt. Wir wissen heute, daß Aufzeichnungen wie die von Luise Rinser (Gefängnistagebuch) heimlich und unter Lebensgefahr entstanden.
In der zweiten Hälfte der 60er Jahre beginnt die eigentliche Entwicklung der Gefangenenpresse in der BRD. Zwar gab es vorher schon vereinzelt hier und da Zeitungen in verschiedenen Anstalten, die aber meist von Lehrern oder Beamten herausgegeben und erstellt wurden. Nun aber begannen Inhaftierte selbst, sich ein eigenes Sprachrohr zu schaffen. In der Zeit der Reformbemühungen der 70er Jahre stieg ihre Anzahl stark an.
Gefangenenzeitungen als Sprachrohr von Inhaftierten
Die Zeitungen entstehen in allen Arten der Justizvollzugsanstalten:
im geschlossenen Männerstrafvollzug
im offenen Männerstrafvollzug
in sozialtherapeutischen Anstalten
im geschlossenen Frauenstrafvollzug
im Jugendstrafvollzug
in Untersuchungshaftanstalten
Die sicherlich größte Zahl der Zeitungen erscheint im geschlossenen Vollzug für Männer. Hier sind die Zeitungen zu finden, die mit der höchsten Kontinuität erscheinen.
Themen und Motivation der Redaktionen
Themen und Motivation der Redaktionen: Die Gefangenenzeitungen berichten über den "Knastalltag". Die Themenvielfalt macht aus ihnen zum Teil regelrechte Fachzeitschriften über den Strafvollzug. Erfahrungsberichte Einzelner über ihre Situation, Berichte über das Essen, die medizinische Versorgung oder die viel zu seltenen Besuche vermitteln auch Außenstehenden eine Ahnung davon, was es heißt, im Gefängnis zu "sitzen". Berichte über Sport, Freizeitgruppen und Veranstaltungen dienen hauptsächlich der Information von Mitgefangenen. Für sie sind auch Rechtsinformationen besonders wichtig: über das Haftrecht, über Urteile, Musterbegründungen und Tips für Anträge und Widersprüche.
Arbeitsbedingungen der Redaktionen
Auch wenn auf einigen Titelblättern "frei" und "unzensiert" geschrieben steht, so kann das doch nicht darüber hinwegtäuschen, daß es die Gefangenenzeitungen nur dort gibt, wo es die Anstaltsleitung genehmigt. Denn da nach den Bestimmungen des Gesetzes die Anstaltsleitung das Gefängnis nach außen vertritt, übernimmt diese die Herausgeberschaft der Zeitungen. Vor dem Druck müssen die Manuskripte in der Regel der Anstaltsleitung vorgelegt werden. Die Anstaltsleitung kann zu geschriebenen Texten eine Anmerkung oder Gegendarstellung hinzufügen oder aber ganze Beiträge entfernen.
Lesen Sie dazu auch:Gefangenenpresse

Gefangenenpresse
Ihre Entstehung und Entwicklung in Deutschland
Diese Veröffentlichnung wurde aus Mitteln der Gustav-Radbruch-Stiftung gefördert
Bonn 1992
Forum Verlag Godesberg
ISBN: 3-927066-55-9
Geleitwort
"Diese Arbeit spricht für sich. Sie bedarf nicht der Fürsprache. Es ist allerdings zu ihr zu sagen, daß sie eine Chance ist, die verspielt werden kann.
Die Strafe des Freiheitsentzug ist (wenn sie es je war) kein vernünftiger Weg mehr in der Auseinandersetzung mit den Menschen, die einmal oder immer wieder nicht mit den Verabredungen zurecht kommen, die unser Zusammenleben leidlich regeln sollen.
Die Gefängnisse in aller Welt sind überfüllt. Angesichts der Energie, mit der ständig neue Straftatbestände definiert und die vorhandenen mit immer höheren Strafmaßen bestückt werden (wir verfügen bereits über Umwelt- und Fußballverbrecher und jeder Zeitgenosse hat einen Tatbestand vor Augen, der nach seiner Überzeugung der generalpräventiven Verstärkung der Androhung bedarf), ist es nicht unsinnig davon zu sprechen, daß eines absehbaren Tages die eine Hälfte der Bevölkerung die andere einsperren wird.
Die Gesellschaft wird nie darauf verzichten können, auf Verstöße gegen ihre Verabredungen zu reagieren. Daß sie noch immer nicht anders auf sie meint reagieren zu können als dadurch, daß sie den rechten Umgang mit der Freiheit durch Entzug der Freiheit lehrt, ist nachgerade ein Tatbestand schlimmster Art. Seit Jahrzehnten liegen die unheilbaren Mängel des Strafvollzugs durch Freiheitsentzug zu Tage, Wissenschaft und Praxis haben sie bloßgelegt - doch nichts geschieht.
Wir gewähren weiterhin die Chance der Resozialisierung. Doch neun von zehn Straftätern sind nie einer Sozialisierung teilhaftig geworden: Man kann sie gar nicht an einen Platz zurückleiten, den sie leichtfertig oder böswillig verlassen haben. Es ist nicht möglich, ihnen durch Entzug der Freiheit den von ihnen angeblieh verschmähten Wert der Freiheit bewußt zu machen. Sie haben in Wahrheit nie die Freiheit gehabt, sich für einen Weg zu entscheiden. Sie sind nie frei zu sich selbst gewesen.
Das Strafvollzugsgesetz - in dieser Arbeit werden seine Defekte, seine Unentschlossenheit und seine Widersprüche deutlich gemacht. Dieser Tage erinnerte eine Notiz, die Müller-Dietz immerhin in einer Fachzeitschrift unterbrachte, nachdrücklich (aber allseits ungehört) an sie: Er wies auf die Verschlechterungen hin, die das Inkrafttreten des Strafvollzugsgesetzes der Bundesrepublik in den neuen Bundesländern für die Insassen der Strafvollzugsanstalten mit sich bringt ...
Diese Arbeit ist eine Chance, denn sie gibt Einblick in die Welt der Ein- und Ausgesperrten. Sie läßt über die "Gefangenenzeitungen" die Menschen sichtbar und spürbar werden, die sich gegen das Elend zu definieren versuchen, das ihnen zugefügt wird. Viele von ihnen, wenn nicht gar die meisten, wären nicht in Konflikt mit unseren Spielregeln geraten (wir nennen sie Gesetze, als hätte sie Moses gestern vom Berg herab gebracht und noch dazu in Stein gehauen, doch sie kommen nicht von Gott, es ist nichts Numinoses an ihnen, sie sind von ärgster Relativität, nicht nur der Hochverrat ist eine Sache des Datums), wenn sie ihren Jammer anders als durch das hätten artikulieren können, was wir dann eine Straftat nennen.
In den "Gefangenenzeitungen" kommen sie zu Wort, "damit ich mich wieder begreifen, fühlen kann", wie einer notiert. "Um der Verzweiflung Herr zu werden", schreiben sie, um sich "an mir selbst festzuhalten", weil da nichts anderes ist, woran sie Halt finden könnten.
Diese Arbeit, wissenschaftlich fundiert und qualifiziert, ist eine Chance, zu erkennen, was wir zufügen. WU' werden leiden, solange wir leiden lassen. Und die Behauptung, daß wir nur leiden lassen, weil man uns Leid zugefügt hat, ist eine Ausflucht und keine Zuflucht: Es sind Gestörte, Verstörte, die uns stören; die uns antun, was ihnen angetan wurde; die uns zufügen, was man ihnen vorenthielt.
Diese Arbeit ist ein hreiter Zugang zu der Erkenntnis, daß endlich ein neuer Weg gefunden und begangen werden muß, um Verstößen gegen die Spielregeln unseres Zusammenlebens unsere Mißbilligung mitzuteilen, einen besseren Weg als den Entzug der Freiheit. Einen ähnlichen Zugang wird es so bald nicht wieder geben. Wir sollten diese Chance nutzen. Hier erzählen die Wände, wie einmal in dieser Arbeit zitiert wird, vom leisen Weinen in der Nacht, vom Schreien im Schlaf, oder "von denen, die ganz still sind".
Damit kein Mißverständnis aufkommt, damit sich nicht der oder jener vor dieser Arbeit versteckt: Es gibt auch Menschen, denen wir nach gegenwärtiger Erkenntnis nicht zur Freiheit unter uns helfen können, vor denen wir uns, die wir vor sich beschützen müssen. Doch auch und gerade mit ihnen kann man anders umgehen, als das heute geschieht: Man kann sie bewahren, statt sie zu verwahren."
Gerhard Mauz